Kann
man überhaupt immer alles richtig machen? Kann man ohne
Intimsphäre, in der die Gedanken frei sind, leben? Nein,
diese Ansprüche waren ihm zu hoch, die Anforderungen zu
schwer. Er schaffte es nicht, diesem Gott zu gefallen. Und so
wurde er ein stilles, nachdenkliches, in sich zurückgezogenes
Kind, das in seinem Kummer zu einer fatalen Erkenntnis kam: wer
viel sündigt, geht verloren, wer wenig sündigt auch.
Für den, der also den Maßstäben Gottes nicht
gerecht zu werden glaubt, ist es somit egal, ob er in seinem
Leben viel oder wenig sündigt. Ein Witz oder ein schlechter
Gedanke bringt einen ebenso in die Hölle wie mehrere Morde.
Es ist also ganz gleich, wie groß die Sünden eines
solchen Menschens sind. Als das Kind größer
wurde, hatte es viele Fragen.
In fundamentalistischen Familien hört man oft Antworten wie:
Geh auf die Knie und bitte Gott um Antwort! oder: Lies in der
Bibel, da steht alles, was du wissen musst. Diese Antworten
halfen dem Jungen nicht. Er fühlte sich alleingelassen,
einsam, nicht zugehörig zu der Welt außerhalb der
Gemeinde, die ja gewissermaßen verboten war, und auch nicht
zugehörig zur Welt der fundamentalistischen Gemeinde, die
mit ihren Ansprüchen ihn, seine Fragen und Zweifel nicht
verstehen konnte oder wollte. Zeitlebens blieben ihm
Schwierigkeiten mit der einen oder anderen Gruppe richtig
umzugehen und einen Platz für sich zu finden.(1) Aber
tief in seinem Inneren, an einem geheimen Platz, hatte ein
anderer Gott eine Kammer bezogen. Nicht der Gott der Gemeinde
oder Kirche, nein, einer, der zuhörte, mitlitt, verstand und
tröstend die Hand ergriff, die sich durch das Dunkel zu der
kleinen versteckten Kammer im Inneren vortastete. Nach und nach
begriff der größer werdende Knabe das Handeln der
Eltern, denn er verstand das System, in dem die Eltern,
Großeltern, die Leute in der Gemeinde etc. lebten. Er
kannte inzwischen selbst die Bibel und die daraus abgeleiteten
Regeln und verstand, wie weh den Eltern seine Diebereien(2), die
Lügen(3) und anderes Fehlverhalten taten. Sie m u s s t e n
ihn doch strafen, damit er wieder auf den rechten Weg kam, sie m
u s s t e n ihn schlagen, weil das doch von der Bibel gefordert
wurde.(4). Er fand bald heraus, wie man in einer
fundamentalistischen Familie und Gemeinde ruhig und einigermaßen
unbeschadet leben konnte: Er tat, was man ihn tun hieß und
hoffte auf die Freiheit des Erwachsenseins und auf den
freundlichen Gott in seinem Inneren. Mit der Zeit bemerkte er,
dass die, die vermeintlich alles richtig machten und scheinbar
ein von Gott unbeanstandetes Leben führten, gar nicht so
"fromm" waren, wie es den Anschein hatte. Und er lernte
in seiner Gemeinde, dass, wenn die moralische Messlatte zu hoch
gelegt wird, Menschen geradezu scheitern m ü s s e n, da sie
von der Realität eingeholt, genau das tun, was sie vehement
mit Worten bekämpfen. Das gilt für den Umgang mit Geld
ebenso wie für die Moral. Ein großes Problem
fundamentalistischer Gemeinden und ihrer Leiter bis auf den
heutigen Tag. Sie wollen - und diese Absicht soll den meisten
nicht bestritten werden - das Gute und von Gott Gewollte, aber
sie scheitern letztendlich an ihren zu hohen Ansprüchen,
fordern sie aber weiterhin von den anderen Mitgliedern der
Gruppe, weil sie meinen, damit Gott zu gefallen. Sie leben ein
nicht lebbares Christsein, das nur aus Worten und Absichten
besteht.(5) So ein Christsein wollte der Junge nicht.
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