Saron
unterbrach kurz seinen Vortrag, nahm einen weiteren Schluck
Wasser und fuhr dann fort: "Nein, ich trage meinen Eltern
nichts nach. Das war eben ihr Leben und Kinder nehmen
zwangsläufig am elterlichen Leben teil. Wird nicht ein
Atheist seinen Kindern den Atheismus nahebringen, ein Künstler
die Kunst oder ein Angler das Angeln? Mir wurde Jesus ans Herz
gelegt. Hätte ich ihn sonst je kennengelernt? Das war das
überragend Positive an ihrer fundamentalistischen Erziehung.
Aber ich weiß von vielen anderen, dass sie unter eben
dieser Erziehung sehr leiden und für immer den Glauben an
Gott verloren haben. Sie machen häufig den Fehler, Gott und
Jesus mit dem Fundamentalismus gleichzusetzen. Das ist aber nicht
so. Der Fundamentalismus entspringt einer menschlichen
Fehlinterpretation der Heiligen Schrift. Er ist von Menschen
gemacht, nicht von Gott oder Jesus. Übrigens: auch das
Für-Einander-Beten in unserer Familie hat mir schon als Kind
gut gefallen, denn Eltern, die für ihre Kinder beten, fand
und finde ich großartig, zeigt dieses doch ebenfalls ihre
Liebe und Fürsorge für ihren Nachwuchs." "Gott
sei es gedankt, dass du diese Zeit im Elternhaus so gut
´überlebt´ hast." ,unterbrach ihn einer.
"Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte. Aber
ich habe eine Frage: mir sind auch einige Gebote in der Bibel
sehr wichtig und ich versuche sie wörtlich zu befolgen, zum
Beispiel die Zehn Gebote. Bin ich nun ein Fundamentalist?" Saron
schüttelte den Kopf. "Nein, nein und nochmals
nein. Es ist die starre, streng interpretierende, mitleidlose und
manchmal fast menschenverachtende Art der Bibelauslegung, die
wahre Fundamentalisten ausmacht. Jedes Gericht in unserem Land
urteilt milder als sie, da es z.B. die persönlichen
Umstände, den Tathergang und die Motive für jemandes
Handeln ins Urteil mit einbezieht. Das geschieht beim
Fundamentalismus nicht. Dort argumentiert man wie der Teufel
stets mit Bibelworten(1) Wie der Vater in unserem Beispiel, wenn
er seiner Tochter sagt: "Es steht geschrieben: Du sollst
nicht am gleichen Joch mit den Ungläubigen ziehen." Und
ohne den Grund für ihr Verhalten, nämlich die Liebe zu
diesem Mann, ohne ihre Sehnsucht nach Geborgenheit, nach eigener
Familie, nach Sexualität zu akzeptieren, ohne die Not zu
sehen, dass weit und breit in den umliegenden Gemeinden kein
gläubiger Mann überhaupt zur Verfügung stand und
ohne ihr Erwachsensein und die damit verbundene eigene
Entscheidungsfähigkeit anzuerkennen, verurteilt er sie und
trennt sich für immer von ihr. Hier wird die ganze
Unbarmherzigkeit des Fundamentalismus beispielhaft deutlich.
Dieser Vater hat seiner Tochter noch eine weitere schwere
Hypothek mit auf den Lebensweg gegeben. Sie wird sich in Zukunft
sicher oft die Frage beantworten: habe ich wirklich vor Gott
richtig gehandelt oder bin ich schuldig geworden, weil mein Vater
doch recht hatte?" Saron machte eine kurze Pause, um dann
fortzufahren. "Begegnest du einmal einem Fundamentalisten,
antworte ihm doch so, wie Jesus dem Teufel antwortete: `Es steht
aber a u c h geschrieben.´ Für unser Beispiel hieße
das: "Lasst alle eure Angelegenheiten in Liebe geschehen.
(1.Kor.16:14)" Hätte der Vater nach diesem Grundsatz
gehandelt und seiner Tochter vergeben, hätte er sie und
vielleicht auch ihren Mann ganz neu für das Evangelium
gewonnen." Es war spät geworden. Saron und seine
Liebe waren müde vom langen Tag. Man zeigte ihnen das
Gästezimmer, nicht ohne ihn vorher gebeten zu haben, am
nächsten Abend seinen Vortrag fortzusetzen. Herrschte bei
einigen doch immer Unklarheit in der Frage, wie denn nun richtig
mit der Bibel umzugehen sei. Saron willigte ein. Da gingen alle
nach Hause und es wurde ganz still in dem kleinen Gemeindehaus.
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