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"Kennt ihr diesen Durst?", fragte Saron in die Runde, "Diese Angst, etwas nicht zu erleben, etwas entbehren zu müssen? Wie viele leben von Wochenende zu Wochenende, von Party zu Party, von Urlaub zu Urlaub, von Partner zu Partner und bleiben doch tief in ihrem Herzen durstig und unbefriedigt? Die Liederdichterin Eleonore Fürstin von Reuß hat dieses Dilemma schon vor Jahrhunderten in einem ihrer Kirchenlieder so zusammengefasst:























Ich habe die Menschen gesehen,
und sie suchen spät und früh,
sie schaffen, sie kommen und gehen,
und ihr Leben ist Arbeit und Müh.

Sie suchen, was sie nicht finden
in Liebe und Ehre und Glück,
und sie kommen belastet mit Sünden
und unbefriedigt zurück. (1)


Warum finden wir Menschen nicht, was wir suchen? Schauen wir noch einmal Ernesto Cardenals Antwort an:

Weil Gott auf dem Grund jeder Seele wohnt, ist die Seele unendlich und kann mit nichts gefüllt werden als mit Gott.
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Die Menschen sind mit den Dingen dieser Erde nie zufrieden, weil sie nicht für sie geschaffen wurden. Die Tiere befriedigen ihre Bedürfnisse und brauchen nicht mehr. Sie spüren keinen Durst nach Unendlichkeit in sich, und diese Erde ist ihr Himmel. Darum sind die Tiere nie von ihrem Leben enttäuscht und begehen nie Selbstmord, weil sie für diese Schöpfung erschaffen wurden.
Unser Sein aber ist entworfen worden, um Gott zu lieben, um Ihn zu besitzen und Ihn zu genießen.
Der Mensch ist nicht zum Genießen dieser Erde, sondern zum Genießen Gottes erschaffen. Und darum sind wir nur mit Gott glücklich." (2)


Saron schwieg. Tränen standen in seinen Augen. Auch die Zuhörenden waren ergriffen, hatte er doch sehr leidenschaftlich mit ihnen die Gedanken seines Herzens geteilt. Viele spürten, dass auch sie zu denen gehörten, die ihren Genuss bisher nur auf dieser Erde gesucht hatten.


(1) Eleonore Fürstin von Reuß (1835 -1903) Kirchenlieder

(2) Ernesto Cardenal, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 1980
"Das Buch von der Liebe" Lateinamerikanische Psalmen ISBN 3-579-03849-4
Auszüge S. 35 - 37