Aus
kleinen Verlockungen wurden Versuchungen, aus ihnen ritualisierte
Bedürfniserfüllung, Ersatzhandlungen. Die engen Grenzen
des Elternhauses wollte ich nicht, aber wo waren jetzt die
Grenzen? Andere kannte ich nicht. Hatten die Menschen, die nicht
zur Gemeinde gehörten, überhaupt Grenzen? Daran
zweifelte ich, denn als ich 18 Jahre alt war, gaben die 68 iger
den Ton an und stellten vieles infrage: Ehe, Familie, Gott,
Kirche und Staat. Man spielte geradezu damit, Grenzen aufzuheben
oder zu verschieben. Das war verlockend neu für mich.
Auf
der anderen Seite spürte ich Gott weiterhin in meinem Leben.
Er stand zu mir. Ich fühlte mich gehalten, trotz meines
permanent schlechten Gewissens. Und er schickte mir einen
wunderbaren Beistand, eine verständnisvolle Hilfe, einen
unermüdlichen Gesprächspartner, Freund und Freundin
zugleich, meine Liebe, meine Gefährtin. Unendlich dankbar
bin ich ihm dafür. Aber das änderte zunächst
nichts an meinem Ausgangszustand.
Ich stand mit einem Fuß
in dieser Welt und mit dem anderen im Reiche Gottes, weil ich
Gott einfach nicht zutraute, dass er mir alles geben konnte, was
ich zum Leben benötigte. Ich glaubte lange Zeit, ich müsse
selbst die Dinge meines Lebens in die Hand nehmen, für mein
Glück und meine Lebensfreude sorgen, denn ich hatte Gottes
Macht und Möglichkeiten an mir selbst noch gar nicht richtig
erfahren. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, hörte ich
sagen. Der Hörensagen-Glaube meiner Kindheit trug mich
nicht, jedenfalls nicht so, wie ich es erwartet hatte. Ich genoss
einige Möglichkeiten dieser Welt und erfreute mich
gleichzeitig an Gottes Segen, den er mir, meiner Familie und der
Gemeinde gab, in der ich lebte. Und weil Gott mich segnete, lebte
ich in dem Trugschluss, dass dann auch mein ganzes Tun gesegnet
sei.(1) So ging es mir, wie vielen anderen auch: Ich "hinkte
auf beiden Seiten".(2) Und funktioniert auf die Dauer nicht.
Nur eine Zeit lang lässt Gott uns in seiner Langmut und
Gnade gewähren, dann muss man sich entscheiden zwischen
seinem Reich und dem Reich dieser Welt, denn beide Lebenswege
laufen nicht nebeneinander her, sondern trennen sich immer mehr
von einander und haben gegensätzliche Ziele. Der Spagat
wurde mir nach vielen Jahren einfach zu schmerzhaft. So zog ich
mein Bein aus dem Reich dieser Welt zurück. Es wuchs der
Wunsch in mir, ganz zu Gott zu gehören. Und ich begriff,
dass ich Hilfe brauchte. So suchte ich nach vielen Jahren einen
Seelsorger auf, beichtete, tat Buße und sofort erlebte ich
die volle Unterstützung Gottes. Er schaltete ungutes
Verlangen einfach ab.(3) Ich brauchte nicht mehr, was ich zu
brauchen glaubte und was mich so sehr festgehalten hatte. Die
Angst, etwas zu verpassen, die Unruhe und Scham, Gott nur halb zu
dienen, fielen von mir ab. Ich war endlich auf dem Weg mit ihm.
Nur mit ihm.
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