Und
seht, jeder, der interpretiert, legt dabei sein Verständnis
als Maßstab an. Kein Wunder, dass die Christen in hunderte
Splittergruppen zerspalten sind. Es wäre schon sehr
hilfreich und entspräche mehr der Wahrheit, wenn man sagen
würde, ich "versuche
bibeltreu
zu leben", statt "ich lebe bibeltreu". Etwas
Bescheidenheit sei den "Bibeltreuen" hier angeraten.
Untersuchungen haben gezeigt, dass "Bibeltreue" stets
nur einige besondere Aspekte des Glaubens herausstellen, die sie
dann für unverzichtbar halten und wörtlich verstanden
wissen wollen(1). Das ist in anderen Religionen z.B. im jüdischen
Fundamentalismus(2) ganz genauso." - "Saron",
meldete sich eine junge Frau zu Wort, "muss man bei der
Auslegung der Bibel nicht auch berücksichtigen, dass im
Laufe der Zeit die Worte oft eine ganz andere Bedeutung bekommen
haben?" - "Gewiss", antwortete der Angesprochene,
"dadurch hat sich auch die Auslegung mancher Begriffe
laufend geändert. Nehmen wir einmal 1.Joh. 2:16-19 als
Beispiel. Dort steht: "Denn alles, was in der Welt ist, des
Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist
nicht vom Vater, sondern von der Welt." Was hat man nun
unter "Augenlust" zu verstehen? Zu Zeiten des
Kirchenvaters Augustin, so habe ich mir sagen lassen, war
"Augenlust" die begeisterte Betrachtung eines
Sonnenuntergangs. Denn wer sich davon begeistern lässt, so
lehrte man, gibt dem Geschaffenen mehr Ehre als dem Schöpfer
und das galt als Sünde. Heute ist "Augenlust" für
viele ganz eindeutig Pornographie. Die gab es damals, als der
Text verfasst wurde, aber noch gar nicht. Was ist also gemeint?
Ich denke, die beste Auslegung ist die Auslegung der Bibel mit
sich selbst. Wie heißt das 9. und 10. Gebot? Richtig: du
sollst nicht begehren. Und "Augenlust" will gar nichts
anderes ausdrücken als: Begehren beginnt oft da, wo wir
etwas sehen: ein tolles Auto, ein Haus, eine fremde Frau. Vor
diesem Begehren will die Bibel uns warnen. Folge nicht der Lust
deiner Augen, wenn dich ihre Erfüllung ins Verderben
stürzt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen:
Die Bibel ist und bleibt das wichtigste Buch der Christen.
Auslegung (Interpretation) des Wortes Gottes ist unerlässlich,
das musste nicht nur der kluge Äthiopier erkennen, der von
Phillippus gefragt wurde: "Verstehst du auch, was
du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand
anleitet?"(Apg
8:30-31) Möge Gott uns stets solche klugen Anleiter zur
Seite stellen, die verantwortungsbewusst und vom Heiligen Geist
inspiriert die Schrift auslegen. Darüber hinaus müssen
wir immer neu lernen, die Meinung des anderen, sofern sie nicht
im eklatanten Widerspruch zur Bibel steht, auszuhalten, denn auch
unsere Auslegung wird eine fehlerhafte sein. Was schreibt Paulus
den Galatern, die sich untereinander heftig über
Beschnitten- und Unbeschnittensein stritten? "Das
ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst. Wenn ihr euch aber untereinander
beißt und fresst, dann seht zu, dass ihr nicht gefressen
werdet" (Gal 5:14-15)
Also liebe Geschwister, ertragt einander, nein, habt euch
untereinander lieb! Saron machte eine Pause, man reichte ihm
ein Glas Wasser, dann fuhr er fort.
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