Am
nächsten Morgen verließen sie das malerische Städtchen
und folgten dem Weg in den Wald. Als sie eine Weile gewandert
waren, kamen sie an dem See vorbei, wo Saron mit dem Mädchen
auf einer Bank gesessen hatte. "Vita brevis", dachte
Saron und lächelte, "vergessen wir das nie!" Sie
gingen um den See herum und dann immer tiefer in den Wald. Die
Luft war klar und roch nach Harz, kleine Vögel begleiteten
sie und gelegentlich konnte man ein Knacken oder Knistern
zwischen den Bäumen vernehmen. Endlich lag vor ihnen eine
Lichtung. Als sie aus dem Wald heraustraten, war da ein
stilles Plätzchen, das zum Verweilen einlud. Sie waren
schnell gegangen und nun ein wenig müde. "Lasst uns
ausruhen!", sagte Saron, "Der Weg war beschwerlich und
wir wollen etwas zu uns nehmen." Nachdem sie gegessen und
getrunken hatten, fiel Saron in einen kurzen aber erfrischenden
Schlaf. Als er erwachte, sah er sich von einer kleinen Schar
umringt: drei junge Männer und zwei ältere Frauen
hatten sich um ihn gesetzt und warteten offenbar geduldig auf
sein Erwachen. "Was wollt ihr?", fragte Saron ein wenig
überrascht. "Wir
sind homosexuell", antwortete einer, "ich möchte
mit meinem Freund, den ich schon viele Jahre kenne, in Liebe und
Treue zusammenleben, immer für ihn da sein und ihn stets um
mich haben. Wir kommen beide aus der gleichen Kirchengemeinde,
aber seit unserem Outing hat man uns die Mitarbeit in unserer
Gemeinde verweigert. Viele sind von uns abgerückt und reden
hinter vorgehaltener Hand. Für andere sind wir der Grund,
warum der Herr die Gemeinde nicht segnet und die Mission so wenig
Früchte zeigt." "Und ich wurde von meinen
gläubigen Eltern mit fünfzehn Jahren aus dem Haus
geworfen, sie wollten keinen schwulen Sohn.", sagte der
dritte Mann. "Und ihr, was bewegt euer Herz?",
wandte sich Saron an die beiden Frauen. "Wir leben seit
acht Jahren zusammen in einer kleinen Wohnung und sind von Kind
auf homosexuell. Wir haben uns sehr lieb und wollen in guten wie
in schlechten Tagen zueinander halten. In unserer Gemeinde dachte
man, wir wären zwei Singles, die aus praktischen Gründen
zusammengezogen sind. Nun möchten wir aber keine
Heimlichkeiten mehr leben, der Herr Jesus hat doch gesagt, dass
die Wahrheit ans Licht kommen muss und uns dann freimacht. Wir
fürchten das aber, denn in der Gemeinde sind viele gegen
Homosexualität und werden schnell wütend, wenn man auf
das Thema zu sprechen kommt. Stimmt es wirklich, dass
Homosexualität immer Sünde ist? Was sagt deiner Meinung
nach die Bibel dazu? Wir haben bisher stets nur die eine Antwort
erhalten, dass jegliche Form von Homosexualität abzulehnen
ist." Saron sah sie an, schwieg eine Weile und
sagte dann leise: "Nein, nein, was hat man euch nur
angetan und tut es heute noch! Haben sie vergessen, dass Jesus
niemals jemanden fortgeschickt, sondern gesagt hat, wir sollen
unseren Nächsten - ja sogar unsere Feinde - lieben wie uns
selbst? Sind Homosexuelle schlimmer als Feinde, dass man sie so
schlecht behandelt?"(1)
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