Seite 113



Lächelnd legte Saron den Brief zur Seite. Was für ein kluger junger Mann, dachte er. Wie schön, wenn einer sich nicht so einfach etwas aufschwatzen lässt und voller Eifer nach der Wahrheit forscht. Davon bräuchten wir mehr. Er holte sich eine Tasse Tee, überlegte eine Weile, dann antwortete er ihm.

Lieber Bruder,
Respekt, da hast Du Deinen Feuerbach(1) gründlich gelesen! Und ich gebe Dir recht. Projektionen sind für viele Christen und Gotteskinder an der Tagesordnung. Alle Religionen sind Teil dieses von Feuerbach beschriebenen Models, daher bewirken sie nichts als Streit, Zank und Rechthaberei. Denk nur an die Christen mit ihren Kreuzzügen. Was haben sie Schreckliches angerichtet, weil sie einer Religion folgten und nicht Jesus Christus. Hätten sie s e i n e Worte befolgt und nicht die einer Kirche, hätten sie ihren Glauben nicht mit dem Schwert verteidigt und die Weltgeschichte wäre anders verlaufen. Somit haben Feuerbach und seine Anhänger recht: Religion ist zu nichts nütze, als dass der Mensch sich selbst durch sie überhöht.
Aber ich habe versucht Dir von Gott zu erzählen, der alle Geschöpfe, egal welcher Religion, erschaffen hat und sie bittet, zu ihm zu kommen. Und ich habe dir von Jesus berichtet, der das Vorbild der Kinder Gottes ist und der uns nicht Kriege führen heißt, um die Ungläubigen zu vernichten,sondern uns Schmach, Schande und Ausgegrenztsein verspricht.(2)
Ja, Feuerbach war ein kluger Kopf, denn in der Tat projizieren auch Gotteskinder ihre Wünsche und Vorstellungen, ihre Träume und Ängste auf Gott. Wenn Feuerbach recht hat, wäre d e r Mensch vollkommen, der sich wieder die bewusst auf Gott projizierten Eigenschaften aneignet. Wäre ein solcher Mensch dann in der Lage, die Welt zu erschaffen?
Ist es nicht vielmehr umgekehrt? Die Bibel sagt uns, Gott hat mit dem Projizieren begonnen, wenn es heißt: "
Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.". (Mose 1:27) W i r sind i h m ähnlich, nicht er uns. Er projiziert in uns einen Teil von sich. Und weil die "Projektionsfläche nicht sauber ist, der "Spiegel auf dem Grund jeder Seele" wie Coelho meint, schreibt Paulus: "Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt."(1.Kor. 13:21) Unsere Vorstellungen von Gott trüben das wahre Bild Gottes in uns ein. Darum sagte Gott einst: "Du sollst dir kein Bildnis machen!"(2.Mose 20:4) Heißt also: wir alle, ob gläubig oder ungläubig, schaffen uns einen Gott nach unseren Vorstellungen, bauen ihn um, stutzen ihn zurecht, legen ihm unsere Worte in den Mund. Das führt letztendlich zu enttäuschtem Christsein. Lass Gott doch sein, wie er ist: allmächtig, herrlich, gewaltig, barmherzig, aber auch gerecht, manchmal zornig, zurechtweisend, strafend und denke daran, wenn du sie willst und wählst, bist du in der Hand dieses einen Gottes für immer geborgen. Das ist Deine Entscheidung. Liebe Grüße Saron.
P.s. Gott ist immer ganz anders, auch anders als du, ich oder Feuerbach ihn denken. (3)

























(1) Ludwig Feuerbach, Philosoph und Religionskritiker 1804 – 1872,
hat mit seiner Religionstheorie einen starken Eindruck bis in die Gegenwart hinterlassen. An seiner "Projektionstheorie" (Gott als Ausdruck menschlicher Wünsche) kam kein späterer Religionskritiker vorbei und auch in der Theologie des 20.Jahrhunderts haben seine Ideen nachhaltig gewirkt. Mehr dazu: HIER und HIER

(2) "
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und euch ausstoßen und schmähen und verwerfen euren Namen als böse um des Menschensohnes willen." Luk. 6:22

(3) Kritik an Feuerbachs Thesen HIER, HIER und HIER